Das Ende der Selzstellung

Sprengung und Zerstörung nach dem Ersten Weltkrieg

 
Am 11. November 1918 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reiches und der Westmächte den Vertrag über den Waffenstillstand von Compiègne. Die Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges waren damit beendet. Am 28. Juni 1919 wurde der Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet. Der Erste Weltkrieg war jetzt auch formell zu Ende.

In Artikel 42 des Vertrages wurde Deutschland untersagt, Befestigungen auf dem linken und rechten Ufer des Rheins zu unterhalten oder zu errichten. Was mit den vorhandenen Festungen zu geschehen hatte, wurde im Vertrag folgendermaßen geregelt: »Alle befestigten Werke, Festungen und Landbefestigungen, die auf deutschem Gebiet im Westen bis zu 50 Kilometer östlich des Rheins liegen, müssen abgerüstet und geschleift werden.« Von dieser Regelung waren die Rheinfestungen Wesel, Köln, Koblenz, Germersheim, die Werke bei Kehl, die Kriegsarmierungsbauten des rechten Oberrheinufers und die Feste auf dem »Isteiner Klotz« betroffen. Erfasst war auch die Festung Mainz mit der Selzstellung.

Die Alliierten verlangten die restlose Beseitigung und Einebnung der zu schleifenden Festungsanlagen. Und zwar unabhängig davon, ob die Festungen noch eine militärische Bedeutung hatten oder nicht. Anfang 1920 begannen die Vorbereitungen für umfangreiche Sprengarbeiten.

Die Festungswerke der Selzstellung wurden zwischen dem 10. März und dem 16. April 1921 zerstört. Zuvor hatten die Besatzungsbehörden bereits »sämtliche Kabelleitungen, Lüftungsrohre, Luftdrucktüren« sowie weitere moderne Ausstattungsgegenstände der deutschen Festungswerke nach Frankreich abtransportieren lassen. Nicht ausreichend gesprengt wurden zahlreiche unterirdischen Räume von großen Anlagen. An diese Orte sind die Kinder und Jugendlichen später vorgedrungen. »Unter den damaligen Dorfbuben war es eine Mutprobe, über noch vorhandene Treppenanlagen bis in das unterste Geschoss zu gelangen«, erinnerte sich ein Zeitzeuge.
Im Jahr 1932 wurde in einem Buch eine Bilanz der Entfestigungen bis zum 1. März 1922 in Köln, Koblenz, Mainz, Wesel und Kleve gezogen. Mit Blick auf Mainz wurden zerstört (Auszüge):
- 25 große, in der Mehrzahl verstärkte Forts, darunter auch die Mainzer Forts der inneren Festungslinie,
- 1 Fort in Mainz, »organisé à la moderne«, das Fort Muhl,
- 800 betonierte Unterstände, darunter mehr als 300 Werke der Selzstellung,
- 300 km unterirdisches Telefonkabel, darunter auch die Kabel der Selzstellung,
- 40 km Festungsbahn, das entspricht der Bahnstrecke der Selzstellung,
- 30 km Wasserleitung, das entspricht ungefähr dem Leitungsnetz der Selzstellung.
In der Gesamtbilanz sind zu keinem geringen Prozentsatz die Werke der Festung Mainz einschließlich der Befestigungsanlagen der Selzstellung enthalten. Dies zeigt, was für ein starkes Bollwerk in Mainz und Rheinhessen zwischen 1908 und 1914 aufgebaut worden war.

Nach der Sprengung der Festungsanlagen lagen die Betonreste über viele Kilometer verteilt, zum Teil aufgehäuft, auf den verschiedenen Gemeindegebieten. Ihre restlose Beseitigung dauerte noch Jahrzehnte bis weite in die 1960er-Jahre. Auf den Flächen, die in Rheinhessen für die Festungswerke der Selzstellung genutzt worden waren, sind die Betonreste heute nicht mehr zu sehen. Soweit sie nicht entfernt oder zugeschüttet worden waren, haben Bäume oder Sträucher neue Biotope geschaffen. Fast überall entlang der Festungslinie sind solche Landschaftsbestandteile durch ihren Bewuchs gut zu erkennen. Andere Festungsgrundstücke liegen heute im Innenbereich von rheinhessischen Ortschaften und sind überbaut.


 Quellen und Beschreibung der Bilder
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Großes Bild oben: Das Fort Muhl nach Beginn der Sprengungen. Die letzten Sprengungen fanden 1985 statt. So war in den »Amtlichen Nachrichten Nieder-Olm« vom 13. August 1965 zu lesen: »Die Sprengarbeiten am Fort Muhl sind nun voll im Gange und werden noch bis Ende der Woche andauern. Diese sind zum Bau eines neuen Hochbehälters mit einer Wasserkapazität von 1200 Kubikmeter Fassungsvermögen notwendig geworden […] Es wird eine Sprengzeit von vierzehn Tagen angenommen«. Nach Abschluss dieser Sprengarbeiten wurden die Betonteile zugeschüttet und der neue Hochbehälter auf einer Teilfläche errichtet. Ende 1965 war es dann soweit: Das Fort Muhl war unter der Erde verschwunden und heute finden sich hier Windräder und ein Wasserhochbehälter.
Bild oben im Text: Titelseite des Schleifungsplans für die Selzstellung sowie ein Hinweis auf Fotografien im Zusammenhang mit der Abnahme der Schleifungsarbeiten. Abgenommen wurden die meisten zerstörten Werke am 2. Juni 1921 von deutschen und französischen Vertretern der beteiligten Stellen. Diese unterzeichneten anschließend das Protokoll mit dem Titel »Verhandlungen über die Ausführung von Schleifungsarbeiten in Ausführung des Artikels 180 des Friedensvertrages von Versailles«, das sich heute im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin befindet. Aus diesen Unterlagen stammen die einzig erhaltenen Fotos, auf denen die Festungswerke der Selzstellung kurz vor der Sprengung zu sehen sind. Bilder aus der Zeit vor und während des Ersten Weltkriegs sind nicht mehr vorhanden. Das liegt einmal daran, dass aus Geheimhaltungsgründen die Festungswerke nicht fotografiert werden durften. Es gibt jedoch auch keine Bilder mehr aus den Akten im Heeresarchiv in Potsdam. Diese sind dort infolge eines Luftangriffs der Royal Air Force am 14. April 1945 verbrannten. Verbrannt sind damit auch viele Pläne, Bilder, Zeichnungen und Akten, die heute ein vollständigeres Bild der Festungsstadt Mainz und der Selzstellung in Rheinhessen ermöglichen würden.
Bild unten: Zerstörte Festungswerke der Selzstellung nach der Sprengung
Quellen aller Bilder: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin


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Das Buch zur Selzstellung

Rudolf Büllesbach / Hiltrud Hollich / Elke Tautenhahn
Bollwerk Mainz - Die Selzstellung in Rheinhessen
3. Auflage

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