Die Schlacht in Lothringen

„Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“


Irgendwie passt das für viele bis heute nicht zusammen. Rheinhessen hat zum Glück nur eine beschränkte Anzahl unmittelbarer Kriegshandlungen erlebt. Gleichzeitig wurde entlang der rheinhessischen Ortschaften im August 1914 die Selzstellung von mehr als 30.000 Menschen gebaut, damit dort mehr als 23.000 Soldaten in modernen Festungsanlagen einem Angreifer langanhaltenden Widerstand leisten konnten. Unterstützt durch 260 Geschütze der schweren Artillerie des Feldheeres. Was war der Zweck dieses gigantischen Aufwandes, wenn der große Schrecken des Ersten Weltkriegs tatsächlich und später im kollektiven Gedächtnis unserer Region mehrere hundert Kilometer entfernt erfahren wurde? Antwort: Der deutsche Plan für den Krieg in unseren Weinbergen scheiterte am 20. August 1914.

Was war passiert. Wir erinnern uns: Die deutsche Aufmarschanweisung (niedergelegt im Schlieffenplan) für die Armee unter Kronprinz Rupprecht von Bayern sah vor, dass sich dessen Einheiten bei dem erwarteten französischen Angriff zurückziehen sollten, um deren Armee an den Rhein zu locken. Hier, und damit auch in Mainz und Rheinhessen, sollten dann weit entfernt von Paris die Kämpfe so lange geführt werden, bis die französische Armee kapitulieren würde. Und dann, am 20. August 1914, passierte das, was alle erwartet hatten, nämlich der französische Angriff in Lothringen.  Aber anders als geplant, lockte (das ist genau der Begriff, der im Zusammenhang mit der deutschen Planung immer wieder genannt worden war) der bayerische Kronprinz die französischen Armeen nicht an den Rhein, sondern ging stattdessen ohne Befehl selbst in die Offensive. Die Franzosen brachen die Schlacht ab und zogen sich hinter ihre Festungslinien zurück. Folge: Mit der bayerischen Gegenoffensive wurde der Drehtüreffekt des deutschen Schlieffenplans blockiert. "Was taktisch ein Erfolg des deutschen Heeres war, erwies sich strategisch als ein verhängnisvoller Fehler, und mancher Analytiker meinte später, die Deutschen hätten die große Schlacht im Westen nicht an der Marne, sondern bereits in Lothringen verloren", so Herfried Münkler in seinem Bestseller "Der Große Krieg".

 

Die erste große Schlacht des Ersten Weltkrieges am 20. August 1914 hatte den Satz bestätigt: „Kein Plan überlebt die erste Feindberührung“ (das gilt übrigens auch für die Pläne von Frankreich, Österreich und Russland). Es bleibt trotzdem die Frage, weshalb der bayerische Kronprinz ohne Befehl die französischen Truppen nicht zum Rhein gelockt (auch dieser Begriff wurde im Zusammenhang mit der deutschen Planung immer wieder genannt) hat. Die Antwort findet sich ebenfalls in dem Buch von Herfried Münkler. "Vielleicht spielten hier aber auch die Rivalitäten und Eifersüchteleien eine wichtige Rolle, und der Kronprinz von Bayern und sein Generalstabschef wollten nicht diejenigen sein, die mit ihren Truppen nach Deutschland zurückwichen, während der Kronprinz von Preußen mit seinen Einheiten nach Frankreich voranstürmte". Ähnlich auch eine Aussage des bayerischen Kronprinzen nach dem Krieg, wonach man „dem bayerischen Soldaten einen …Rückzug vor dem Feinde nicht zumuten [könne], dem er sich völlig überlegen fühlte“. Ob all dies tatsächlich die entscheidenden Motive für die nicht geplante Offensive der deutschen Armee in Lothringen war und ob der Schlieffenplan bei einem deutschen Rückzug am 20. August 1914 aufgegangen wäre, wird heute nicht mehr abschließend zu klären sein. Fest steht jedoch, dass die Schlacht in Lothringen einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, dass nicht nur der deutsche Schlieffenplan gescheitert ist, sondern auch dass der Stadt Mainz und vielen rheinhessischen Ortschaften das Schicksal eines Krieges vor der Haustür erspart geblieben ist.

Nach der Schlacht in Lothringen und darauf folgenden Schlacht an der Marne waren die deutschen Planungen endgültig gescheitert. Die weitgestreckte Westfront erstarrte im Stellungskrieg, der sich zum Grabenkrieg entwickelte. Die Bauarbeiten an der Selzstellung wurden bis Ende 1915 nur noch verhalten fortgeführt wurden. Im April 1916 gab es schließlich den Bericht von General von Claer, auf dessen Grundlage ein Baustopp für viele deutsche Festungen, darunter auch Mainz, verfügt wurde. Die Festung Mainz wurde von 1916 bis zum Ende des Krieges nicht mehr erweitert. Im Gegenteil. Ab 1916 wurden Teile der Selzstellung sogar wieder zurückgebaut. »Wir werfen hier die Schützengräben zu, die 1914 gemacht worden sind« schrieb der Soldat einer Festungskompanie am 3. Februar 1916 seiner Familie. Mit diesem Rückbau erhielten die Landwirte die Möglichkeit, die Felder wieder zu bewirtschaften und einen Beitrag für die dringend notwendige Versorgung der Bevölkerung und der Soldaten an der Front zu leisten. 

Beschreibung und Quelle der Bilder
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Großes Bild oben: Kronprinz Rupprecht von Bayern auf einer Postkarte nach der Schlacht in Lothringen. Die dreitägige Schlacht vom 20. bis 22. August 1914 wurde damals als Musterbeispiel für die Überlegenheit deutscher Truppen und der Führungsstärke des bayerischen Kronprinzen gefeiert, da diese die französische Eliteeinheiten in einer Frontalschlacht geschlagen und zum Rückzug gezwungen hatten. Tatsächlich war die Schlacht aus überwiegend heutiger Sicht aber nur ein taktischer Sieg, der aus strategischer Sicht ein, wenn nicht der entscheidende Faktor für den französischen Sieg in der Schlacht an der Marne und damit für das Scheitern der deutschen Kriegsplanung war. Quelle: Postkarte gemeinfrei
Karte: Aufmarsch im Westen bis zum 20. August 1914 (Quelle: Gemeinfrei)

 

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