Luftkrieg über Mainz und Rheinhessen
Flugabwehr und Jagdflieger im Ersten Weltkrieg
Dem Flugwesen wurde bei Beginn des Krieges 1914 zunächst keine besondere Bedeutung zugemessen. Die Militärs setzten Ballons und Luftschiffe zwar ein, sie kamen aber hauptsächlich zur Aufklärung, vor allem für die Artillerie, zum Einsatz. Der vermutlich erste deutsche Luftangriff fand mit einem Zeppelin am 6. August 1914 auf Lüttich statt.
Flugzeuge gab es bei Beginn des Krieges nur sehr wenige. Im August 1914 verfügten die Deutschen über 232 einsatzbereite Flugzeuge des Feldheeres. Am Ende des Krieges besaß Deutschland 2.548, Frankreich 3.331 und Großbritannien 1.799 Flugzeuge. Diese Zahlen zeigen, wie sich die militärische Bedeutung der Flugzeuge innerhalb weniger Jahre verändert hatte. Diese Veränderungen hatten Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und die strategische Ausrichtung der Luftverteidigung durch Flugzeuge.
Vor diesem Hintergrund überrascht nicht, dass Mainz ein Ziel von Bombenangriffen auch während des Ersten Weltkrieges war. So kamen in der Mainzer Neustadt am 9. März 1918 bei einem britischen Luftangriff elf Menschen zu Tode. Noch heute erinnert in der Adam-Karrillon-Straße vor dem Eckhaus zur Forsterstraße eine im Bürgersteig eingelassene Markierung aus halbkreisförmig angeordneten kleinen weißen und schwarzen Pflastersteinen an das damalige Ereignis. Den letzten Fliegerangriff des Ersten Weltkrieges auf Mainz gab es am 15. September 1918, bei dem etwa 13 Bomben abgeworfen wurden. Es entstand Sachschaden an Häusern und an der Johanniskirche.
Der Luftkrieg war im Ersten Weltkrieg für die Menschen eine neue Erfahrung. Als Festungsstadt war Mainz ein wichtiges militärisches Ziel für feindliche Luftangriffe. Die Stadt hatte eine besondere Bedeutung als Sperrpunkt der hier zusammenlaufenden wichtigen Eisenbahnen und Straßen sowie als Brückenkopf für eine über den Rhein zurück- oder vorgehende Feldarmee. Strategisch wichtige Ziele, deren Luftraum gegen das Eindringen feindlicher Ballons oder Flugzeugen verteidigt werden musste, befanden sich im Bereich der Festung Mainz
- über der Stadt mit den drei Brücken über den Rhein,
- über Kostheim mit Schleuse und der Mainbrücke, die 1904 zeitgleich mit der Mainzer Kaiserbrücke in Betrieb genommen worden war,
- über Uhlerborn mit seinem kriegsbedeutenden Munitionslager und
- über Bingen-Kempten mit seiner zwischen 1913 und 1915 gebauten Eisenbahnbrücke.
Im Ergebnis waren die militärischen Erfolge der Luftangriffe noch gering Ihre psychologische Wirkung auf die Bevölkerung war hingegen sehr groß.
Deshalb verwundert nicht, dass bereits zu Beginn des Krieges zur Luftabwehr über Mainz die Geschütze von vier Batterien mit Ballonabwehrkanonen (B.A.K.-Batterien) aufgestellt worden waren. Die B.A.K.-Standorte befanden sich auf dem Fort Weisenau, dem Hochheimer Berg, dem Fort Biehler auf der rechten Rheinseite sowie dem Fort Hartenberg. Am 10. April 1916 wurde eine Feuerleitungsstelle in der »Mainzer Actien-Bierbrauerei (MAB)« auf der Mathildenterrasse (heute Kupferbergterrasse) eingerichtet. Von hier hatte man eine gute Sicht über die Stadt bis zum Feldberg auf der anderen Rheinseite. Gleichzeitig mit der neuen Organisation wurden die Standorte der alten B.A.K.-Batterien aufgegeben. Bis Juli 1916 waren für die Flak-Batterien neue Stellungen an der Steinernen Straße oberhalb von Kastel und auf dem alten Fort Philipp, in der Nähe des Mainzer Bahnhofs, eingerichtet worden.
Im dritten Kriegsjahr ordnet der Gouverneur der Festung an, dass Lichter abgedunkelt werden müssen, damit sich die angreifenden Flugzeugführern nicht orientieren können. Von einer Alarmierung der Bevölkerung bei Luftangriffen während der Nachtstunden wird allerdings abgesehen.
Im letzten Kriegsjahr setzte sich die Erkenntnis durch, dass die bis dahin erfolgte Maßnahmen nicht ausreicht sind und eine wirksame Luftabwehr nicht nur vom Boden aus erfolgen kann. Als Folge hieraus wurde eine Kampfeinsitzerstaffel (KEST 9) auf dem Flugfeld bei Gonsenheim stationiert. Flugplatz und Flugzeughalle befanden sich am Großen Sand. Der Standort in Gonsenheim war ideales Fliegergelände, auch weil sich die »J. Goedecker Flugmaschinenwerke« in der Nähe befanden. Ein Flugzeug des Mainzers Jacob Goedecker war 1912 das erste militärisch in Deutschland genutzte Flugzeug gewesen. Bis zum Ende des Krieges wurden in Gonsenheim mehrere Doppeldecker gebaut und viele Flugzeuge repariert.
Die Hangars auf dem Flughafen blieben nach dem Krieg erhalten. Es gab jedoch keinen Flugbetrieb mehr. Die Franzosen hatten den Flughafen wegen der schlechten Anflugverhältnisse nach Wackernheim verlegt. Nach dem Abzug der Franzosen musste auch dieser Flughafen aufgegeben werden. Ein neuer Flughafen wurde anschließend in Finthen eingerichtet. Betrieben wird dieser heute noch vom Luftfahrtverein Mainz. Dieser Verein ist Nachfolger des 1911 gegründeten »Verein für Flugwesen Mainz«, der bis 1914 die Flugveranstaltungen auf dem Gonsenheimer Flugfeld organisiert hatte.
Der Luftangriff auf Mainz im Spiegel der damaligen Zeit
Verlautbarung des Polizeiamts vom 10. März 1918, Betreffend: Fliegerangriff auf Mainz am 9. März 1918:
"Gestern Nachmittag gegen 1 1/2 Uhr wurden in Mainz und Umgebung von einem feindlichen, vermutlich englischen Fliegergeschwader eine größere Anzahl Bomben abgeworfen, die neben bedeutendem Sachschaden, auch vielfach leichte und schwere Verletzungen von Personen sowie leider auch den Tod von 4 Militärpersonen und 7 Zivilpersonen herbeigeführt haben. Unter den getöteten Zivilpersonen befinden sich 2 männliche und 4 weibliche Erwachsene sowie ein Knabe." Namentlich aufgeführt werden diese dann als Karl Codini, Wirt; Heinrich Wolf, Steuermann; Adam Hofmann [14 Jahre], Sohn [eines] Tagelöhners; Meta Cahn, Ehefrau; Maria Willmuth, Ehefrau; Maria Mappes und Katharina Winsiffer, beide Dienstmädchen."
Eine typische Passage aus der Ansprache des Oberbürgermeisters [Mainzer Journal, 15. 3. 1918] macht den historisch-ideologischen Deutungshorizont anschaulich, in dem dieses Totengedenken gestiftet wird: "Und auch die Toten, denen wir heute die letzte Ehre erweisen, sind gefallen fürs Vaterland. Ihrer wollen wir mit gleicher Liebe gedenken, und ihre Gräber sollen ebenso in Ehren gehalten und geschmückt werden, wie die unserer gefallenen Krieger. [...] Es ist nicht unsere Schuld, daß es so kam, denn wir haben den Krieg nicht gewollt und hätten ihn längst beendet, wenn man unsere zum Frieden ausgestreckte Hand nicht mit Hohn zurückgewiesen hätte. Wir haben auch nicht damit begonnen, den Krieg auf die friedlichen Einwohner der feindlichen Länder auszudehnen, nachdem aber unsere Feinde damit angefangen haben, müssen wir aus Notwehr Gleiches mit Gleichem vergelten. So sind wir denn alle Kämpfer geworden, sie draußen, wir hier im Innern, müssen mit ihnen dulden und aushalten und dürfen nicht verzagen. [...] Einmal aber wird die Sonne des Friedens über den Völkern wieder aufgehen. Ach, daß sie bald erschiene! Dann, so hoffen wir, wird ein milderes, glücklicheres Zeitalter kommen, das uns die heutige schwere Not der Zeit wird vergessen lassen und uns durch das Glück unseres Volkes die schweren Opfer lohnen wird, die wir heute bringen müssen."
Auch das allergnädigste Beileidstelegramm des Großherzogspaares von Hessen-Darmstadt wird in der Presse ausführlich gewürdigt. Das Grab von Meta Cahn ist […] noch heute auf dem Jüdischen Friedhof in Mainz zu finden.
Quelle der Bilder
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Großes Bild oben: Soldaten mit einer Ballon-Abwehr-Kanone (B.A.K.) in einer Stellung am Fort Weisenau um 1914 (Quelle: Stadtarchiv Mainz)
Bild oben im Text: Die Karte (Quelle: Stadtarchiv Mainz) zeigt die Organisation der Flugabwehr von 1914 bis 1916. Batterien für die Ballon-Abwehr-Kanonen (B.A.K.) befanden sich auf dem Fort Weisenau (lila), auf dem Hochheimer Berg (braun), beim Fort Biehler (blau), auf dem Fort Hartenberg (grün), auf dem Hüllenberg in der Nähe von Heidesheim (rot) sowie auf dem Großen Hub zwischen Eltville und Walluf (schwarz). De Kreise zeigen die Reichweite der Geschütze
Bild mitte im Text: Foto des Flugplatzes von 1920 (Quelle: Ansichtskarte)
Bild unten im Text: Adam-Karrillon-Straße 23 nach dem Luftangriff von 9. März 1918 (Quelle: Stadtarchiv Mainz)
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