Einquartierungen in Rheinhessen

„Die Arbeiten zeigten uns, auf welch gefährlichem Boden wir standen“

 

Wenige Tage nach Kriegsbeginn rückten am 3. und 4. August deutsche Soldaten von Festungskompanien in den rheinhessischen Ortschaften ein. 76 solcher Kompanien sind in Rheinhessen durch Feldpoststempel nachgewiesen. Insgesamt waren im August 1914 zwischen 30.000 und 40.000 Menschen am Bau der Selzstellung beteiligt. Damit waren so viele Menschen im Einsatz wie in Ägypten für den Bau der Cheopspyramide.

Die Soldaten der Festungskompanien mussten in Mainz und in den kleinen Dörfern entlang der Selzstellung ein Dach über den Kopf erhalten. Hierfür ordnete die Stadt Mainz am 3. August 1914 die Einquartierung an. Entsprechende Anordnungen gab es überall in Rheinhessen.

In den vielen kleinen rheinhessischen Dörfern begannen jetzt schwere Zeiten. Teilweise gab es in den Ortschaften doppelt so viele Soldaten als Einwohner. Für die Menschen in der land- und weinwirtschaftlich geprägten Region bedeutete dies, dass sie ab der Mobilmachung nicht nur ohne die Hilfe der jungen Männer die anstehende Ernte oder Weinlese bewältigen, sondern darüber hinaus auch die Soldaten der Festungskompanien versorgen mussten. Bereits wenige Tage nach der Mobilmachung waren damit die Auswirkungen des Krieges in unserer Region angekommen.

Kriegsbeginn in Mommenheim - "Durch die starke militärische Belegung wurde das öffentliche Eigenleben in unserer Gemeinde geradezu unterdrückt"

Im rheinhessischen Mommenheim schrieb der evangelische Pfarrer in die Pfarrchronik:
"Am frühen Morgen des 1. August [1914] erklangen am Pfarrtor Hammerschläge u. es wurden wie an anderen Stellen so auch hier der Mobilmachungsbefehl und die Erklärung des Kriegszustandes angeschlagen. Groß war die Erregung der Gemüter, besonders in den Familien, aus denen Angehörige ins Feld ziehen mußten. Die Einberufenen rückten nach und nach gemäß dem ihnen bestimmten Tag ohne besonderes Aufhebens ab. Letzteres wurde auch verhindert, daß auch Mommenheim wie die ganze Umgebung von Mainz alsbald eine starke Einquartierung erhielt. Bereits am 3. und 4. August rückten Arbeiterkompagnien und Fuhrparkkolonnen ein. Das Pfarrhaus erhielt eine Einquartierung von 20 Mann ... Die erste Einquartierung von 20 Mann (einschließlich Verpflegung) blieb 5 Wochen. Man kann sich denken, welche Arbeitslast dies bei der geringen Hilfe für die Pfarrfrau und die Pfarrtochter bedeutete. Eine entsprechende Einquartierung erhielten auch die anderen Häuser, so daß unser Ort eine zeitlang eine Belegung von mehr als 2000 Mann hatte, die also mehr betrug als das doppelte der Einwohnerzahl.
Ein reges militärisches Leben erfüllte die ganze Gegend. Die Mannschaften zogen des Morgens auf die Höhe von Mainz, um Befestigungen anzulegen oder sie machten Übungsmärsche oder sie putzten die Pferde, wovon in der Pfarrscheuer längere Zeit 6-8 standen, u. ihre Sachen, oder sie wurden ausgemustert u. es gingen Transporte an die Front. Durch die starke militärische Belegung wurde das öffentliche Eigenleben in unserer Gemeinde geradezu unterdrückt ... Die starke Belegung brachte auch einen immer mehr wachsenden starken Verkehr, indem die Angehörigen der hier liegenden Mannschaften, soweit diese nicht in Urlaub durften, sie zu besuchen kamen. Es waren oft Scharen von mehreren Hunderten, die besonders am Sonntag um die Mittagstunde mit der Bahn kamen."

Kriegsbeginn in Hahnheim - "Unser kleines Dorf hatte eine Zeitlang fast 1000 Ersatzreservisten"
In Hahnheim war die Situation ähnlich wie im benachbarten Mommenheim. Hier waren für den Bau der Selzstellung 1.400 Soldaten einquartiert worden. Anders jedoch als in Mommenheim wurde nach dem Bericht des damaligen evangelischen Pfarrers Otto Mickel den Soldaten verboten, »daß sie ihre nachgereisten Frauen oder Frau an Zimmer über Nacht oder gar viele Tage dabeihielten«. Am grundsätzlichen Problem änderte diese Einschränkung jedoch nichts. »Im Pfarrhaus lagen bis zum 2.11. 6 Mann, manche Leute hatten bis zu 22 Mann. Unser kleines Dorf hatte eine Zeitlang fast 1000 Ersatzreservisten«.

Kriegsbeginn in Zornheim – „Die Arbeiten zeigten uns, auf welch gefährlichem Boden wir standen“
Bericht von Pfarrer Dr. Friedrich Stock in der Pfarrchronik der Katholischen Pfarrei Zornheim:

"In. der kommenden Woche wurde die Stimmung immer gedrückter, bis dann am Samstag, den 1. August, die Entscheidung fiel. In später Abendstunde dieses Tages wurde die Mobilmachungsorder bekannt gegeben. Eine ernste Stimmung löste dieselbe zunächst nicht hier aus. Es scheint, dass man das ernste Ereignis im Wirtshause feierte, wenigstens waren Singen und Johlen bis tief in die Nacht hörbar ... Gleich am 2. Mobilmachungstage kam es hier zu starken Einquartierungen, verstärkt durch zahlreiche Arbeiter. Es wurde dann die Armierungsbahn fertig gestellt, die beabsichtigten Forts angelegt, Schützengräben gezogen. Die Arbeiten zeigten uns, auf welch gefährlichem Boden wir standen. Erst Ende August ließen die deutschen Erfolge in Frankreich hoffen, dass keine Gefahr einer Belagerung der Festung Mainz mehr bestand. In den ersten Kriegswochen war - eben der Arbeiten an den Befestigungsanlagen wegen - die strengste Kontrolle. Ohne Ausweis konnte niemand den Ort passieren."

Kriegsbeginn in Bretzenheim
Aber auch aus einem heutigen Stadtteil von Mainz gibt es einen Berichte über die Veränderungen im August 1914.
„Erste Hinweise auf die Veränderung der Lage ergaben sich für die Bretzenheimer Bevölkerung neben den Schlagzeilen der Mainzer Zeitungen und den Plakatanschlägen in der Gemeinde durch den während der Zeit der Mobilmachung – etwa vom 4. bis 12. August 1914 – ununterbrochen durch den südöstlichen Teil des Ortes rollenden Verkehr. Dieser wurde in der Hauptsache durch schwerbeladene Militärfuhrwerke und Fahrzeuge mit Holz, Stroh, Eisen und Proviant verursacht, die das Material zu den Außenbefestigungen zu bringen hatten“, so die Bretzenheimerin Helga Wittkopf in einem Beitrag für die Mainzer Geschichtsblätter.

Kriegsbeginn in Harxheim - „Die wenigsten Weinberge sind noch ganz unbeschädigt“
Bericht von Pfarrer Johannes Würth am 5. September 1914 in der Chronik der evangelischen Kirchengemeinde Harxheim über die Ereignisse von August bis Oktober 1914:
„9. August 1914: Arbeitssonntag, zirka 36.000 Mann liegen und arbeiten jetzt in den Dörfern des Festungsbereiches Mainz am Ausbau der Festungswerke. Die Unsrigen beginnen im Ober-Olmer Wald zu holzen, Pfähle und Reiserbündel (Faschinen für die Seitenwände der Schützengräben) zu machen, am Bahnhof ein Rangiergeleise und ein Ausladegeleise zu bauen. Zahllose Zement- und Kiesfuhren gehen durch den Ort auf die Höhen. In Mommenheim laden sie Berge von Bauholz zum Bau von Unterständen usw. aus, hier mehr Rheinkies, Wackersteine, Zement und Tonröhren. Die wenigsten Weinberge sind noch ganz unbeschädigt, viele z.T. durch die Feldbahnen und Erdarbeiten mitgenommen.
7. September 1914: Mehrere Batterien schwerer Feldartillerie beziehen Stellungen an den Artillerieräumen an der Straße nach Ebersheim, sie bleiben bis zum 4. Januar 1915;
18. September 1914: Unteroffizier Dr. Münz, im Civilberuf Handelslehrer, zimmert in seinen dienstfreien Stunden im Hofe des Pfarrhauses Krippen, damit die 5 „Invalidenpferde“ in unserer Scheune ihren Hafer nicht von der Erde aufzufressen brauchen. Für die von hier durch das Militär angekauften Pferde sind gute Preise bereits ausgezahlt worden. Manche Besitzer erhielten den früheren Einkaufspreis, obwohl sie die Pferde schon 5-6 Jahre gefahren haben; so bis zu 1250 Mk. per Stück;
17. Oktober 1914: In der Kammer über dem Backhaus von Bürgermeister Böhm lagern seit 14 Tagen 18.000 scharfe Infanteriepatronen. Auch die Geschützmunitionsräume der Festungswerke sind seit längerer Zeit gefüllt.“

 

Beschreibung und Quelle der Bilder
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Großes Bild oben: Soldaten der Festungskompanien bei der Arbeit. Diese waren in den rheinhessischen Ortschaften einquartiert. Unmittelbar nach der Mobilmachung musste die Festung Mainz armiert und kriegsbereit gemacht werden. Das Bild zeigt eine Deckenschalung mit Wellblechen (Quelle: Sammlung Karl-Heinz Lambert, Trier)
Bild oben: Mommenheim damals und heute mit dem Blick vom Nazariusberg.
In dem kleinen Ort wurden wenige Tage nach dem Beginn des Krieges mehr als 2.000 Soldaten einquartiert. Der Soldat einer Festungskompanie hat mit dem Hinweis »Unsere Baustelle«  seinen Einsatzort oberhalb von Harxheim gekennzeichnet (Quellen: Festungsarchiv „Militärstempel in Rheinhessen 1914 – 1918“, JürgenLemke, Undenheim / Rudolf Büllesbach
Bild unten: Lagerplatz in Zornheim- Die Selzstellung war als sogenannte »Depotfestung« oder »Gerippstellung« angelegt, die erst im Kriegsfall ausgebaut werden sollte. Zu diesem Zweck entstanden ab 1908 nurwenige Friedenswerke und eine gut ausgebaute Infrastruktur für den schnellen Ausbau der Festung nach der Mobilmachung. Auf mehreren großen Lagerplätzen lagerten Wellbleche, Stacheldraht und sonstiges Baumaterial, das bei Kriegsbeginn über Militärstraßen und eine Festungsbahn an die jeweiligen Standorte der Festungswerke transportiert werden konnte. Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, bauten Festungskompanien die Selzstellung innerhalb weniger Wochen zu einer gewaltigen Festungsfront aus. An die Bahnstation vor dem Lagerplatz erinnert heute in Zornheim eine Informationstafel mit einer Kopie des original erhaltenen Stationsschildes (Quelle: Elke Tautenhahn).

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Die Selzstellung – Befestigungsgruppe Harxheim (mit vielen Bildern)
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Das Buch zur Selzstellung

Rudolf Büllesbach / Hiltrud Hollich / Elke Tautenhahn
Bollwerk Mainz - Die Selzstellung in Rheinhessen
3. Auflage

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